Der Kristallberg
In einem Zarenreich lebte einmal ein Zar, der hatte drei Söhne. Die ritten einmal auf die Jagd und jeder ritt in eine andere Richtung. Der jüngste Sohn, Iwan Zarewitsch, verirrte sich auf der Jagd im Wald.
Da kam er auf eine Lichtung und sah ein totes Pferd im Gras liegen. Um das tote Pferd herum zankten sich viele Vögel und Waldtiere um das Aas. Als sie Iwan Zarewitsch sahen, flog ein Falke ihm auf die Schulter und sprach: „Iwan Zarewitsch, sei willkommen! Schon dreiunddreißig Jahre zanken wir miteinander und können das Pferd einfach nicht gerecht verteilen. Bitte, zerteil du es für uns!“
Da stieg Iwan Zarewitsch von seinem Pferd und teilte das tote Pferd unter die Tiere. Den Vögeln gab er das Fleisch, den scharfzähnigen Tieren die Knochen und den Aasfressern die Haut. Die Ameisen bekamen den Kopf. Der Falke bedankte sich sehr im Namen der Tiere und sprach: „Von nun an kannst du, sooft du willst, dich in einen Falken oder in eine Ameise verwandeln!“
Da ließ der Zarensohn sein Pferd frei laufen, das fand auch wieder in seinen Stall zurück. Iwan Zarewitsch aber warf sich auf den Waldboden und flog als Falke hoch in die Luft davon. Er flog über dreimal neun Reiche in das dreimal zehnte Zarenreich. Das war bis zur Hälfte in den Kristallberg eingeschlossen. Nun verwandelte er sich wieder in einen jungen Burschen und begab sich in den Dienst des Zaren vom Schloß im Kristallberg.
Er diente gut und war bald mit allen im Schloß gut Freund. Da ward auch die schöne Tochter des Zaren aufmerksam auf ihn und bat ihren Vater, den Zaren: „Mein liebes Väterchen Zar. Erlaube mir, mit Iwan Zarewitsch zum Fuß des Kristallberges zu reiten.“
Der Zar erlaubte es gern und sie ritten auf ihren prächtigen Pferden hinunter, zum Fuß des Kristallberges.
Dort angekommen, sprang plötzlich eine goldene Ziege auf ihren Weg. Wo die herkam, weiß keiner zu sagen. Sie sprang vorbei und meckerte laut und Iwan Zarewitsch gab seinem Pferd die Sporen und jagte der goldenen Ziege nach. Er verfolgte sie den ganzen Tag, doch er konnte sie nicht fangen und dann war sie auf einmal verschwunden. Nun dachte er wieder an die schöne Zarentochter, die er in seinem Jagdfieber ganz vergessen hatte. Doch auch die war verschwunden, als er wieder zurück kam an den Fuß des Kristallberges.
Nun verkleidete sich Iwan Zarewitsch als alter Mann, denn ohne die Zarewna mochte er nicht mehr zum Zaren kommen und einfach weglaufen wollte er auch nicht. So trat er als alter Mann verkleidet vor den Zaren und bat ihn: „Väterchen Zar, laß mich deine Kühe hüten!“ Der Zar nahm ihn als Kuhhirten auf und sprach: „Hüte mir die Kühe, aber gib dem dreiköpfigen Drachen, wenn er geflogen kommt, drei Kühe. Kommt der sechsköpfige Drache geflogen, so gib ihm sechs Kühe und wenn der zwölfköpfige Drache kommt, so gib ihm zwölf Kühe.“
Als Iwan Zarewitsch seine Herde in ein schönes grünes Tal getrieben hatte, kam schon vom See her ein mächtiges Brausen und der dreiköpfige Drache kam herbeigeflogen und donnerte mit lauter Stimme: „Ach, Iwan Zarewitsch, der Kuhhirte, ha ha! Ein Held wie du müßte doch kämpfen, aber du hütest die Kühe! Sofort gibst du mir drei Kühe!“
Iwan Zarewitsch lachte und sagte: „Übertreibst du nicht ein bißchen? Ich esse auch nur eine Ente am Tag, aber du willst gleich drei Kühe haben. Nicht eine Kuh geb` ich dir!“
Da wurde der Drache bitterböse, fauchte und krallte sich gleich sechs Kühe.
Iwan aber verwandelte sich in den Falken, stürzte sich auf den Drachen und hackte ihm mit seinem Falkenschnabel die Augen von allen drei Köpfen aus und biß ihnen die Kehle durch. Da verschied der Drache und Iwan Zarewitsch kehrte mit seiner Herde zum Zaren zurück. Der fragte ihn: „Hast du auch dem dreiköpfigen Drachen drei Kühe gegeben, alter Mann?“ „Nein, mein Gebieter. Nicht eine einzige Kuh habe ich ihm gegeben“ antwortete Iwan Zarewitsch und der Zar wunderte sich sehr.
Am nächsten Tag trieb er wieder seine Herde in das Tal am See und diesmal kam der sechsköpfige Drache angebraust und fauchte: „Ach, Iwan Zarewitsch, der Kuhhirte, ha ha! Ein Held wie du müßte doch kämpfen, aber du hütest die Kühe! Sofort gibst du mir sechs Kühe!“
Iwan Zarewitsch lachte und sagte: „Übertreibst du nicht ein bißchen? Ich esse auch nur eine Ente am Tag, aber du willst gleich sechs Kühe haben. Nicht eine Kuh geb` ich dir!“
Da wurde der Drache bitterböse, fauchte und krallte sich gleich zwölf Kühe.
Wieder verwandelte sich Iwan in den Falken und tötete den Drachen mit allen seinen sechs Köpfen und wieder antwortete er dem Zaren auf seine Frage, ob er dem Drachen auch sechs Kühe gegeben habe: „Nicht eine einzige“ und der Zar wunderte sich.
In der Nacht aber verwandelte sich Iwan Zarewitsch in eine Ameise und kroch durch eine schmale Ritze in den Kristallberg hinein. Da sah er die schöne Zarentochter mitten im Kristallberg sitzen und verwandelte sich in seine eigentliche Gestalt. Sie freute sich, Iwan Zarewitsch zu sehen und sprach: „Ach Iwan Zarewitsch, mein Lieber. Der zwölfköpfige Drache hat mich entführt. Du musst zum See gehen, wo der Drache haust. In seinem Bauch ist eine Kiste verborgen. In der Kiste ist ein Hase. Im Hasen ist eine Ente und in der Ente ist ein Ei. In diesem Ei ist ein Korn verborgen und wenn du das Körnchen vernichten kannst, ist der Drache tot und du hast mich erlöst.“
Der Zarensohn kroch wieder als Ameise aus dem Berg und trieb als alter Hirte verkleidet seine Herde zum See. Da brauste auch schon der Drache heran und zischte: „Ach, Iwan Zarewitsch, der Kuhhirte, ha ha! Ein Held wie du müßte doch kämpfen, aber du hütest die Kühe! Sofort gibst du mir zwölf Kühe!“
Iwan Zarewitsch lachte und sagte: „Übertreibst du nicht ein bißchen? Ich esse auch nur eine Ente am Tag, aber du willst gleich zwölf Kühe haben. Nicht eine Kuh geb` ich dir!“
Iwan Zarewitsch hatte aber sein Schwert im Umhang mitgenommen und stürzte sich auf den Drachen und hieb auf ihn ein. Der Drache fauchte und hieb mit seinen scharfen Krallen nach dem Zarensohn, Feuer spritzte aus seinen zwölf aufgerissenen Rachen. Sie kämpften und kämpften. Doch Iwan Zarewitsch schwang das Schwert und hieb dem Drachen alle zwölf Köpfe ab. Dann schnitt er den Bauch des Drachen auf und fand darin die Kiste. Er machte die Kiste auf und eine Ente flatterte heraus. Iwan Zarewitsch ergriff die Ente, tötete sie und holte aus ihrem Bauch das Ei. Und im Ei lag das Korn. Er ging mit dem Korn zum Kristallberg und zündete ein Feuer an und in das Feuer warf er das Korn. Da zerschmolz der Kristallberg und die schöne Zarewna kam heraus und war erlöst.
Iwan Zarewitsch brachte sie zu ihrem Vater den Zaren, der beide überglücklich in die Arme schloß und sofort ein großes Hochzeitsfest anstellte. Sie lebten glücklich und vergnügt und niemals bis an ihr Ende, anders als unser Märchen, das nun zu Ende ist.